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Konsulargerichtsbarkeit in Japan
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Die '''Konsulargerichtsbarkeit in Japan''' schützte von 1856 bis kurz nach 1900 die meisten dort lebenden Ausländer aus dreizehn vertragsschließenden Nationen vor dem Zugriff der japanischen Justiz bis diese durch Reformen einen für westliches Verständnis angemessenen Standard erreicht hatte.
Die westliche völkerrechtliche Theorie im 19. Jahrhundert ging von der Annahme aus, ein christliche, und somit ''per se'' „zivilisierter" Weißer verließe sein Heimatrechtsgebiet dann nicht, wenn er sich in nicht-christliche und somit „unzivilisierte" Gegenden begäbe. Hieraus entstand in den Kolonien eine juristische Ungleichbehandlung zwischen Kolonialherren und Eingeborenen. Für die wenigen unabhängigen nicht-christlichen Staaten wie dem osmanischen Reich oder Siam ergab sich eine Schutzberechtigung, die vertraglich (z.B. [[Kapitulationen des Osmanischen Reiches]]), bei weniger mächtigen Fürsten gerne auch per [[Kanonenbootdiplomatie]], durchgesetzt wurden. Im Gegensatz dazu sind die Konsulargerichtsbarkeiten in Japan in allen Fällen vertraglich begründet gewesen.
== Vertragliche Grundlagen ==
Verschiedene Übereinkommen regelten die (Handels-)Beziehungen Japans zur Außenwelt und der [[Exterritorialität]]. Die das Ende der [[Abschließung Japans|250jährigen Abschließung]] erzwingenden Amerikaner erreichten den [[Vertrag von Kanagawa]] (31. März 1854). Es folgte der [[Englisch-Japanischer Freundschaftsvertrag|englisch-japanische Freundschaftsvertrag]] vom 4. Okt. 1854 und mit Rußland der [[Vertrag von Shimoda]] (7. Feb. 1855). Diese frühen Übereinkünfte, die auch [[Meistbegünstigung]]sklauseln enthielten, schränkten japanische Hoheitsrechte über ausländische Bürger ein.
Jedoch erst der Vertrag mit den Niederlanden vom 30. Jan. 1856, ergänzt am 16. Okt. 1857, legte ''expressis verbis'' fest, daß deren Bürger, so sie japanisches Recht brechen vor ein niederländisches Gericht zu stellen zu seien. Ähnliches findet sich dann im revidierten [[Harris-Vertrag]] (29. Juli 1858) mit den USA, der auch als Vorlage für eine Revision mit dem Übereinkommen mit Rußland bildete (7. Aug. 1858) sowie in den Vertrag mit Frankreich vom 9. Okt. 1858.
Auf Basis der Meistbegünstigung wurden dann entsprechende Regelungen, nämlich daß zivil- und strafrechtliche Beschwerden von Japanern vom bzw. vor dem jeweiligen Konsul zu verhandeln seien, in nachfolgende Verträge mit aufgenommen. Abgeschlossen wurden solche mit [[Japanisch-portugiesische Beziehungen#Seit dem 19. Jahrhundert|Portugal]] (3. Aug. 1860), [[Belgisch-japanische Beziehungen#Bis 1866|Belgien]] (1. Aug. 1866), Italien (25. Aug. 1866), Dänemark (12. Jan. 1867), Schweden-Norwegen (11. Nov. 1868), Spanien (12. Nov. 1868) sowie China (1871) hier mit gegenseitiger Konsulargerichtsbarkeit.
Der [[Preußisch-japanischer Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsvertrag|preußisch-japanische Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag]] vom 24. Jan. 1861 beschränkte Zivilsachen ausdrücklich auf von Japanern gegen Preußen vorgebrachte Beschwerden. Ein geschädigter Preuße hatte den japanischen Richter aufzusuchen. Die Vereinbarung mit der Schweiz am 6. Feb. 1864 war gleichlautend.
Japan verpflichtete sich durch Kabinettsbeschluß vom 3. Feb. 1868 ([[Japanische Zeitrechnung|jap.]] 慶応4/1/10) sich an anerkannte völkerrechtliche Gepflogenheiten zu halten.
Der Vertrag mit dem norddeutschen Bund am 20. Feb. 1869 (und der wortgleiche mit Österreich-Ungarn vom 18. Okt. 1869) enthielten die umfassendste Regelung zur Konsulargerichtsbarkeit.<ref>Art. 5 bis 7 des ''Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts-Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und den zu diesem Bunde nicht gehörigen Mitgliedern des Deutschen Zoll- und Handelsvereins einerseits und Japan andererseits'' im RGBl. 1870, Band I, S. 1-24.</ref> Diese wurde in Folge der Meistbegünstigung zum allgemeinen Standard.
=== Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit ===
Der Vertrag mit Mexiko 1888 war der erste bei dem Japan gleichberechtigter, „zivilisierter" Partner war. Mexikanische Bürger unterstanden von Anfang an in Japan ausschließlich japanischer Gerichtsbarkeit.
Alle vorgenannten Abkommen hatten Daten zur möglichen Neuverhandlung festgeschrieben. Japan erhandelte die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit beginnend Juli 1899 durch geänderte Verträge mit Großbritannien am 16. Juli 1894, den USA am 22. Nov. 1894, Italien am 1. Dez. 1894, Rußland am 8. Juni 1895 sowie dem Deutschen Reich am 4. Apr. 1896<ref>RGBl. 1896, S. 715.</ref> bald darauf gefolgt von Frankreich und noch im selben Jahr der Schweiz. Portugal hatte seit 1892 keinen Konsul mehr im Lande, weshalb ein kaiserlich-japanischer Erlaß am 14. Juli 1892 dessen Konsulargerichtsbarkeit aufhob.<ref>中網栄美子 [Nakaami Emiko]; [https://ift.tt/2Rfa1Lt ポルトガル領事裁判権の回収について] [''Abolition of Portuguese Consular Court in Meiji Japan'']; 2005. Dort S. 86 nach Jahren aufgegliederte Tabelle in Japan ansässiger Ausländer.</ref> Am längsten standhaft blieb Belgien, das erst 1911 auf seine Konsulargerichtsbarkeit verzichtete.
Die Zustimmung der Großmächte erleichterte die Einführung eines modernen westlichen Rechtssystems. Am 27. Apr. 1896 verkündete man ein bürgerliches Gesetzbuch (, ''Minpō'') das den „[[Bürgerliches Gesetzbuch#Quellen-Editionen|Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich]]" von 1887 fast vollumfänglich übernahm. Eine erste Strafrechtsreform war nach französischem Vorbild schon 1880 erfolgt, ein neues Strafgesetzbuch gab es 1907.
Der nach dem Sieg über China 1895 geschlossene [[Vertrag von Shimonoseki]] war ein [[Ungleiche Verträge|ungleicher Vertrag]] zugunsten Japans. Die chinesischen Konsulargerichte wurden aufgehoben. Japans Außenpolitik zielte seit den 1890ern auf Gleichberechtigung mit den imperialistischen Großmächten. Die [[Intervention von Shimonoseki]] zeigte den Japanern jedoch schmerzhaft ihre Grenzen auf. Erst nach dem [[Russisch-Japanischer Krieg|Sieg über Rußland]] konnte man nach 1905 verstärkt darauf drängen die verbliebenen exterritorialen Rechte aufheben zu lassen.
== Zuständigkeiten ==
Die zum Standard gewordene erwähnte Regelung von 1869 sah vor, daß:
* Zivilrechtliche Klagen von Japanern gegen einen Ausländer vor dessen Konsul zu bringen sind und nur dieser ein Urteil fällen darf.
* Japanische Behörden sich in Streitigkeiten zwischen Ausländern nicht einmischen dürfen.
* Ausländer, die einer Straftat bezichtigt werden vor ihren Konsul zu bringen sind, der nach dem heimatlichen Strafrecht urteilt.
* Ausländer, die zivilrechtlich gegen Japaner vorgehen wollten dies vor japanischen Behörden nach deren Recht tun müssen.
* Japaner, die durch ein Verbrechen einen Ausländer schädigten, vor ein japanisches Gericht kommen.
Wer privilegierter „Schutzgenosse" war,<ref>Weiterführend: Hecker, Hellmuth; ''Schutzangehörigkeit und Staatsangehörigkeit in Deutschland;'' Archiv des Völkerrechts, 21 (1983), S. 433-91.</ref> wurde von den Großmächten weitreichend definiert. Für Großbritannien waren es alle Untertanen des Empire, inklusive von "protected persons," wie es z.B. die arabischen Einwohner der [[Persian Gulf Residency]] waren. Frankreich beanspruchte für sich alle katholischen Priester und Mönche, Untertanen befreundeter Staaten, die keinen Konsul im Lande hatten und alle von ihnen angestellten Japaner.
Gewisse Unklarheiten entstanden wenn die beteiligten Ausländer Angehörige unterschiedlicher Staaten oder von nicht-Vertragsstaaten waren (z.B. Lateinamerikaner oder Osmanen) oder bei Seeleuten, die auf Kauffahrteischiffen einer anderen vertragsschließenden Nation angeheuert hatten.
== Organisation ==
Die Konsulargerichte waren nach den Vorschriften ihrer Heimatländer konstituiert, die jedoch Abweichungen von der Gerichtsverfassung im Herkunftsland vorsehen konnten. So mußte ein deutscher Konsul nicht zwangsläufig die „Befähigung zum Richteramt" haben - allerdings waren alle deutschen Berufskonsuln der Kaiserzeit studierte Juristen mit mindestens erster Staatsprüfung.<ref>Erforderlich für Neuanstellungen gem. §7 des ''Gesetzes betr. die Organisation des Berufskonsulats,'' vom 8. Nov. 1867. Endgültige Regelung im ''Gesetz über die Konsulatsgerichtsbarkeit'' vom 10. Juli 1879. Auch Teilnehmer der österreichen „Konsularelevenprüfung" mußten Kenntnisse in Völker- und Handelsrecht nachweisen.</ref> Die Konsuln waren in Strafsachen vielfach Polizei, Staatsanwalt und Amtsrichter in einem.
Praktisch alle Vertragsstaaten hatten ein Konsulat im wichtigste Exporthafen Yokohama, vielfach auch im rasch wachsenden, vor allem dem Import dienenden [[Kōbe]] (bzw. Hyōgo), wo ein deutscher Berufskonsul seit 1. Apr. 1874 amtierte.
Fast alle Länder folgten bei der Gerichtsorganisation dem französischen Muster, die für Konsulargerichte ihren Ursprung in der ''[https://ift.tt/2NN1cGM Grande ordonnance de la marine]'' vom 31. Juli 1681 hat:<ref>Auch bekannt als ''Ordonnance royale de 1681,'' oder ''Ordonnance de Colbert.'' Vielfach geändert und ergänzt. Das Ausbildung der Konsuln regelte eine Verordnung vom 6. Okt. 1847.</ref>
1. Instanz: Konsul mit zwei Beisitzern die aus den im Konsulatsbezirk ansässigen Bürgern gewählt werden. Der amerikanische Konsul nahm sich nur Beisitzer wenn der Streitwert $ 500 überschritt, sein schweizer Kollege ab 800 fr.
Bei Strafsachen urteilte ein Konsul bei Übertretungen alleine (für Amerikaner z.B. bis 60 Tage Haft), bei Vergehen fungieren die Beisitzer als Schöffen, Verbrechen beurteilt der Konsul als Untersuchungsrichter, das Gericht ist nur Anklagekammer, ein Urteil fällt die höhere Instanz.
2. Instanz: Ein jeweils bestimmtes höheres Gericht, auch zuständig für Berufungen. <br />
Für Franzosen war dieses z.B. in Saigon, für Portugiesen in Goa, für Amerikaner der ''District Court of California.'' Für Preußen war die 2. Instanz das Tribunal in Stettin, ggf. dann das [[Preußisches Obertribunal|Obertribunal in Berlin]]; nach 1879 nur noch das [[Reichsgericht]]. Die Russen nutzten ein Gesandtschaftsgericht in Tokio, dem der älteste Gesandtschaftssekretär vorstand und der angesehene ortsansässige Russen zu seinen Beisitzern berief. Die Deutschen mußten, mangels Staatsanwaltschaft vor Ort, bei Schwerverbrechen den Angeklagten samt Akten heim ins Reich schicken. In der schweizer Praxis gab es nur eine einzige Berufung, 1893, in Folge dessen der [[Bundesrat (Schweiz)|Bundesrat]] entschied er sei die zuständige Instanz.
Geldbußen bei Verstößen gegen Handels- oder Zollrecht gingen vertragsgemäß immer an die japanische Staatskasse.
Durch Vereinbarungen wurden gerade in kleineren Häfen die Zusammenarbeit von Konsulaten geregelt. So war der deutsche 1898-1902 als deutscher Generalkonsul in Nagasaki amtierende [[Georg Coates]] (1853-1924) auch für Italiener und Bürger von Schweden-Norwegen zuständig, die ihm mehr Arbeit machten als die knapp dreißig Deutschen im Ort.
=== British Court for Japan ===
Die Briten organisierten ihre überseeischen Gerichte nach den Bestimmungen des Konsulargesetzes 1843 bzw. 1890.<ref>''Colonial Courts of Admiralty Act 1890.''</ref> Sie richteten bereits 1859 eine spezielle Laufbahn, den ''British Japan Consular Service'' ein.
Als Eingangsinstanz fungierte ein ''provincial court'' mit dem örtlichen Konsul als Vorsitzenden und 2-3 Beisitzer - Briten die im Bezirk wohnen. Seit 1879 gab es einen speziellen ''British Court for Japan'' in [[Yokohama]]. Hier urteilten der Richter, ein qualifizierter Jurist mit mindestens sieben Jahren [[Barrister]]-Erfahrung, mit fünf Geschworenen. Der britische Konsul in Yokohama war ''ex officio'' Assistenzrichter. Die Berufungs- bzw. Revisisonsinstanz war der ''[[British Supreme Court for China]]'' in der internationalen Niederlassung von Shanghai (bereits 1871-78 stellte man von dort dauerhaft einen Richter ab).
Als Richter in Yokohama fungierten:
* Richard Temple Rennie 1879–81
* Nicholas John Hannen, 1881–91
* Robert Anderson Mowat, 1891–97
* Hiram Shaw Wilkinson 1877–78 als "Acting Law Secretary", als Richter 1897 bis zur Abschaffung 1900
== Literatur ==
* Barduzzi, Carlo Enrico; ''La giurisdizione consolare nelle terre islamiche, nell'Estremo Oriente, negli stati vassalli, nei protettorati; con un'appendice sugli ordinamenti giudiziari coloniali;'' Torino 1909
* [[Eduard Brücklmeier|Brücklmeier, Eduard]]; ''Die geschichtliche Entwicklung der Konsulargerichtsbarkeit und ihre Rechtsgestaltung für Deutschland im Anschluß an den Weltkriegim Anschluß an den Weltkrieg;'' Leipzig 1927 (Mäser) (= zugleich Dissertation, Universität Würzburg, 1927)
* [[Harald Fuess|Fuess, Harald]]; ''Deutsche Konsulargerichtsbarkeit in Japan und Korea, 1861–1913;''
* Fukushima Sayoko; ''Consular Courts and Japan during the Early Meiji Era;'' Vol. 23 (1980), Nr. 2, S. 99-106; DOI: [https://ift.tt/2TOA6Tp 10.5356/jorient.23.2_99] (Jap.)
* Hinckley, Frank Erastus; ''American consular jurisdiction in the Orient;'' Washington 1906
* Hornby, Edmund [1825-1896]; ''Instructions to Her Majesty's consular officers in China and Japan, on the mode of conducting judicial business: with comments on the China and Japan order in council, 1865, and the rules of procedure framed under it;'' Shanghai 1885 (Kelly & Walsh); [ark:/13960/t9f487n23 Scan]
* Katō Hideaki; ''Ryōji saiban no kenkyū – Nihon ni okeru;'' Hōsei Ronshū, Vol. 84 (1980), S. 301–361 [„Forschung zur Konsulargerichtsbarkeit in Japan"]
* Lehr, Ernest [1835-1919]; ''Nouvelle organisation judiciaire du Japon et ses traités avec l'Angleterre et les États-Unis tendant à la suppression de la juridiction consulaire;'' Extrait de la ''Revue de droit international et de législation comparée,'' 1895, t. XXVII
* Marchand, Marcel Gustav; ''Konsulargerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Konsularjurisdiktion in China;'' Bern 1947 [Diss.]
* Malfatti di Monte Tretto, Josef Frh. v.; ''Handbuch des österreichisch-ungarischen Konsularwesens;'' ²1904
* Мартенс, Федор Федорович [1845-1909]; '''' [''O konsulakh i konsulʹskoĭ i︠u︡risdikt︠s︡īi na Vostoki︠e︡'']; St. Petersburg 1873
* Roijen, Jan Herman van; ''Consulaire jurisdictie in Japan;'' Groningen 1895 (Scholtens & Zoon)
* Scidmore, G. H.; ''Digest of leading cases decided in the United States Consular Court at Kanagawa, Japan, of decisions and opinions of the United States Minister in Japan, of decisions of the United States Circuit Court for the District of California, of opinions of the Attorney General of the United States, and of instructions from the Department of State of the United States, relating to consular court jurisdiction in Japan;'' Yokohama 1882
* Scidmore, G. H.; ''Outline lectures on the history, organization, jurisdiction, and practice of the Ministerial and Consular Courts of the United States of America in Japan;'' Tokio 1887 (Igirisu horitsu gakko)
* Senga Tsurutaro [; 1857-1929]; ''Gestaltung und Kritik der heutigen Konsulargerichtsbarkeit in Japan;'' Berlin 1897 [Diss.]
* Strisower, Leo [1857-1931]; ''Konsular-Gerichtsbarkeit;'' Wien 1895 (Hölder)
* Twiss, Travers; ''La juridiction consulaire dans les pays de l'orient et specialement au Japon;'' 1893, Extrait de la Revue de droit international et de législation comparée. ([ark:/13960/t4pk0bw0r Scan], Zschr.-Jg.: [ark:/12148/bpt6k57497712])
* Weiser, Walther [*1888]; ''Deutsche Konsulargerichtsbarkeit in Zivilsachen; oder, Die Tätigkeit der deutschen Konsulargerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten;'' Berlin 1912 (Puttkammer & Mühlbrecht)
=== Einzelnachweise ===
<references />
Die westliche völkerrechtliche Theorie im 19. Jahrhundert ging von der Annahme aus, ein christliche, und somit ''per se'' „zivilisierter" Weißer verließe sein Heimatrechtsgebiet dann nicht, wenn er sich in nicht-christliche und somit „unzivilisierte" Gegenden begäbe. Hieraus entstand in den Kolonien eine juristische Ungleichbehandlung zwischen Kolonialherren und Eingeborenen. Für die wenigen unabhängigen nicht-christlichen Staaten wie dem osmanischen Reich oder Siam ergab sich eine Schutzberechtigung, die vertraglich (z.B. [[Kapitulationen des Osmanischen Reiches]]), bei weniger mächtigen Fürsten gerne auch per [[Kanonenbootdiplomatie]], durchgesetzt wurden. Im Gegensatz dazu sind die Konsulargerichtsbarkeiten in Japan in allen Fällen vertraglich begründet gewesen.
== Vertragliche Grundlagen ==
Verschiedene Übereinkommen regelten die (Handels-)Beziehungen Japans zur Außenwelt und der [[Exterritorialität]]. Die das Ende der [[Abschließung Japans|250jährigen Abschließung]] erzwingenden Amerikaner erreichten den [[Vertrag von Kanagawa]] (31. März 1854). Es folgte der [[Englisch-Japanischer Freundschaftsvertrag|englisch-japanische Freundschaftsvertrag]] vom 4. Okt. 1854 und mit Rußland der [[Vertrag von Shimoda]] (7. Feb. 1855). Diese frühen Übereinkünfte, die auch [[Meistbegünstigung]]sklauseln enthielten, schränkten japanische Hoheitsrechte über ausländische Bürger ein.
Jedoch erst der Vertrag mit den Niederlanden vom 30. Jan. 1856, ergänzt am 16. Okt. 1857, legte ''expressis verbis'' fest, daß deren Bürger, so sie japanisches Recht brechen vor ein niederländisches Gericht zu stellen zu seien. Ähnliches findet sich dann im revidierten [[Harris-Vertrag]] (29. Juli 1858) mit den USA, der auch als Vorlage für eine Revision mit dem Übereinkommen mit Rußland bildete (7. Aug. 1858) sowie in den Vertrag mit Frankreich vom 9. Okt. 1858.
Auf Basis der Meistbegünstigung wurden dann entsprechende Regelungen, nämlich daß zivil- und strafrechtliche Beschwerden von Japanern vom bzw. vor dem jeweiligen Konsul zu verhandeln seien, in nachfolgende Verträge mit aufgenommen. Abgeschlossen wurden solche mit [[Japanisch-portugiesische Beziehungen#Seit dem 19. Jahrhundert|Portugal]] (3. Aug. 1860), [[Belgisch-japanische Beziehungen#Bis 1866|Belgien]] (1. Aug. 1866), Italien (25. Aug. 1866), Dänemark (12. Jan. 1867), Schweden-Norwegen (11. Nov. 1868), Spanien (12. Nov. 1868) sowie China (1871) hier mit gegenseitiger Konsulargerichtsbarkeit.
Der [[Preußisch-japanischer Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsvertrag|preußisch-japanische Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag]] vom 24. Jan. 1861 beschränkte Zivilsachen ausdrücklich auf von Japanern gegen Preußen vorgebrachte Beschwerden. Ein geschädigter Preuße hatte den japanischen Richter aufzusuchen. Die Vereinbarung mit der Schweiz am 6. Feb. 1864 war gleichlautend.
Japan verpflichtete sich durch Kabinettsbeschluß vom 3. Feb. 1868 ([[Japanische Zeitrechnung|jap.]] 慶応4/1/10) sich an anerkannte völkerrechtliche Gepflogenheiten zu halten.
Der Vertrag mit dem norddeutschen Bund am 20. Feb. 1869 (und der wortgleiche mit Österreich-Ungarn vom 18. Okt. 1869) enthielten die umfassendste Regelung zur Konsulargerichtsbarkeit.<ref>Art. 5 bis 7 des ''Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts-Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und den zu diesem Bunde nicht gehörigen Mitgliedern des Deutschen Zoll- und Handelsvereins einerseits und Japan andererseits'' im RGBl. 1870, Band I, S. 1-24.</ref> Diese wurde in Folge der Meistbegünstigung zum allgemeinen Standard.
=== Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit ===
Der Vertrag mit Mexiko 1888 war der erste bei dem Japan gleichberechtigter, „zivilisierter" Partner war. Mexikanische Bürger unterstanden von Anfang an in Japan ausschließlich japanischer Gerichtsbarkeit.
Alle vorgenannten Abkommen hatten Daten zur möglichen Neuverhandlung festgeschrieben. Japan erhandelte die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit beginnend Juli 1899 durch geänderte Verträge mit Großbritannien am 16. Juli 1894, den USA am 22. Nov. 1894, Italien am 1. Dez. 1894, Rußland am 8. Juni 1895 sowie dem Deutschen Reich am 4. Apr. 1896<ref>RGBl. 1896, S. 715.</ref> bald darauf gefolgt von Frankreich und noch im selben Jahr der Schweiz. Portugal hatte seit 1892 keinen Konsul mehr im Lande, weshalb ein kaiserlich-japanischer Erlaß am 14. Juli 1892 dessen Konsulargerichtsbarkeit aufhob.<ref>中網栄美子 [Nakaami Emiko]; [https://ift.tt/2Rfa1Lt ポルトガル領事裁判権の回収について] [''Abolition of Portuguese Consular Court in Meiji Japan'']; 2005. Dort S. 86 nach Jahren aufgegliederte Tabelle in Japan ansässiger Ausländer.</ref> Am längsten standhaft blieb Belgien, das erst 1911 auf seine Konsulargerichtsbarkeit verzichtete.
Die Zustimmung der Großmächte erleichterte die Einführung eines modernen westlichen Rechtssystems. Am 27. Apr. 1896 verkündete man ein bürgerliches Gesetzbuch (, ''Minpō'') das den „[[Bürgerliches Gesetzbuch#Quellen-Editionen|Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich]]" von 1887 fast vollumfänglich übernahm. Eine erste Strafrechtsreform war nach französischem Vorbild schon 1880 erfolgt, ein neues Strafgesetzbuch gab es 1907.
Der nach dem Sieg über China 1895 geschlossene [[Vertrag von Shimonoseki]] war ein [[Ungleiche Verträge|ungleicher Vertrag]] zugunsten Japans. Die chinesischen Konsulargerichte wurden aufgehoben. Japans Außenpolitik zielte seit den 1890ern auf Gleichberechtigung mit den imperialistischen Großmächten. Die [[Intervention von Shimonoseki]] zeigte den Japanern jedoch schmerzhaft ihre Grenzen auf. Erst nach dem [[Russisch-Japanischer Krieg|Sieg über Rußland]] konnte man nach 1905 verstärkt darauf drängen die verbliebenen exterritorialen Rechte aufheben zu lassen.
== Zuständigkeiten ==
Die zum Standard gewordene erwähnte Regelung von 1869 sah vor, daß:
* Zivilrechtliche Klagen von Japanern gegen einen Ausländer vor dessen Konsul zu bringen sind und nur dieser ein Urteil fällen darf.
* Japanische Behörden sich in Streitigkeiten zwischen Ausländern nicht einmischen dürfen.
* Ausländer, die einer Straftat bezichtigt werden vor ihren Konsul zu bringen sind, der nach dem heimatlichen Strafrecht urteilt.
* Ausländer, die zivilrechtlich gegen Japaner vorgehen wollten dies vor japanischen Behörden nach deren Recht tun müssen.
* Japaner, die durch ein Verbrechen einen Ausländer schädigten, vor ein japanisches Gericht kommen.
Wer privilegierter „Schutzgenosse" war,<ref>Weiterführend: Hecker, Hellmuth; ''Schutzangehörigkeit und Staatsangehörigkeit in Deutschland;'' Archiv des Völkerrechts, 21 (1983), S. 433-91.</ref> wurde von den Großmächten weitreichend definiert. Für Großbritannien waren es alle Untertanen des Empire, inklusive von "protected persons," wie es z.B. die arabischen Einwohner der [[Persian Gulf Residency]] waren. Frankreich beanspruchte für sich alle katholischen Priester und Mönche, Untertanen befreundeter Staaten, die keinen Konsul im Lande hatten und alle von ihnen angestellten Japaner.
Gewisse Unklarheiten entstanden wenn die beteiligten Ausländer Angehörige unterschiedlicher Staaten oder von nicht-Vertragsstaaten waren (z.B. Lateinamerikaner oder Osmanen) oder bei Seeleuten, die auf Kauffahrteischiffen einer anderen vertragsschließenden Nation angeheuert hatten.
== Organisation ==
Die Konsulargerichte waren nach den Vorschriften ihrer Heimatländer konstituiert, die jedoch Abweichungen von der Gerichtsverfassung im Herkunftsland vorsehen konnten. So mußte ein deutscher Konsul nicht zwangsläufig die „Befähigung zum Richteramt" haben - allerdings waren alle deutschen Berufskonsuln der Kaiserzeit studierte Juristen mit mindestens erster Staatsprüfung.<ref>Erforderlich für Neuanstellungen gem. §7 des ''Gesetzes betr. die Organisation des Berufskonsulats,'' vom 8. Nov. 1867. Endgültige Regelung im ''Gesetz über die Konsulatsgerichtsbarkeit'' vom 10. Juli 1879. Auch Teilnehmer der österreichen „Konsularelevenprüfung" mußten Kenntnisse in Völker- und Handelsrecht nachweisen.</ref> Die Konsuln waren in Strafsachen vielfach Polizei, Staatsanwalt und Amtsrichter in einem.
Praktisch alle Vertragsstaaten hatten ein Konsulat im wichtigste Exporthafen Yokohama, vielfach auch im rasch wachsenden, vor allem dem Import dienenden [[Kōbe]] (bzw. Hyōgo), wo ein deutscher Berufskonsul seit 1. Apr. 1874 amtierte.
Fast alle Länder folgten bei der Gerichtsorganisation dem französischen Muster, die für Konsulargerichte ihren Ursprung in der ''[https://ift.tt/2NN1cGM Grande ordonnance de la marine]'' vom 31. Juli 1681 hat:<ref>Auch bekannt als ''Ordonnance royale de 1681,'' oder ''Ordonnance de Colbert.'' Vielfach geändert und ergänzt. Das Ausbildung der Konsuln regelte eine Verordnung vom 6. Okt. 1847.</ref>
1. Instanz: Konsul mit zwei Beisitzern die aus den im Konsulatsbezirk ansässigen Bürgern gewählt werden. Der amerikanische Konsul nahm sich nur Beisitzer wenn der Streitwert $ 500 überschritt, sein schweizer Kollege ab 800 fr.
Bei Strafsachen urteilte ein Konsul bei Übertretungen alleine (für Amerikaner z.B. bis 60 Tage Haft), bei Vergehen fungieren die Beisitzer als Schöffen, Verbrechen beurteilt der Konsul als Untersuchungsrichter, das Gericht ist nur Anklagekammer, ein Urteil fällt die höhere Instanz.
2. Instanz: Ein jeweils bestimmtes höheres Gericht, auch zuständig für Berufungen. <br />
Für Franzosen war dieses z.B. in Saigon, für Portugiesen in Goa, für Amerikaner der ''District Court of California.'' Für Preußen war die 2. Instanz das Tribunal in Stettin, ggf. dann das [[Preußisches Obertribunal|Obertribunal in Berlin]]; nach 1879 nur noch das [[Reichsgericht]]. Die Russen nutzten ein Gesandtschaftsgericht in Tokio, dem der älteste Gesandtschaftssekretär vorstand und der angesehene ortsansässige Russen zu seinen Beisitzern berief. Die Deutschen mußten, mangels Staatsanwaltschaft vor Ort, bei Schwerverbrechen den Angeklagten samt Akten heim ins Reich schicken. In der schweizer Praxis gab es nur eine einzige Berufung, 1893, in Folge dessen der [[Bundesrat (Schweiz)|Bundesrat]] entschied er sei die zuständige Instanz.
Geldbußen bei Verstößen gegen Handels- oder Zollrecht gingen vertragsgemäß immer an die japanische Staatskasse.
Durch Vereinbarungen wurden gerade in kleineren Häfen die Zusammenarbeit von Konsulaten geregelt. So war der deutsche 1898-1902 als deutscher Generalkonsul in Nagasaki amtierende [[Georg Coates]] (1853-1924) auch für Italiener und Bürger von Schweden-Norwegen zuständig, die ihm mehr Arbeit machten als die knapp dreißig Deutschen im Ort.
=== British Court for Japan ===
Die Briten organisierten ihre überseeischen Gerichte nach den Bestimmungen des Konsulargesetzes 1843 bzw. 1890.<ref>''Colonial Courts of Admiralty Act 1890.''</ref> Sie richteten bereits 1859 eine spezielle Laufbahn, den ''British Japan Consular Service'' ein.
Als Eingangsinstanz fungierte ein ''provincial court'' mit dem örtlichen Konsul als Vorsitzenden und 2-3 Beisitzer - Briten die im Bezirk wohnen. Seit 1879 gab es einen speziellen ''British Court for Japan'' in [[Yokohama]]. Hier urteilten der Richter, ein qualifizierter Jurist mit mindestens sieben Jahren [[Barrister]]-Erfahrung, mit fünf Geschworenen. Der britische Konsul in Yokohama war ''ex officio'' Assistenzrichter. Die Berufungs- bzw. Revisisonsinstanz war der ''[[British Supreme Court for China]]'' in der internationalen Niederlassung von Shanghai (bereits 1871-78 stellte man von dort dauerhaft einen Richter ab).
Als Richter in Yokohama fungierten:
* Richard Temple Rennie 1879–81
* Nicholas John Hannen, 1881–91
* Robert Anderson Mowat, 1891–97
* Hiram Shaw Wilkinson 1877–78 als "Acting Law Secretary", als Richter 1897 bis zur Abschaffung 1900
== Literatur ==
* Barduzzi, Carlo Enrico; ''La giurisdizione consolare nelle terre islamiche, nell'Estremo Oriente, negli stati vassalli, nei protettorati; con un'appendice sugli ordinamenti giudiziari coloniali;'' Torino 1909
* [[Eduard Brücklmeier|Brücklmeier, Eduard]]; ''Die geschichtliche Entwicklung der Konsulargerichtsbarkeit und ihre Rechtsgestaltung für Deutschland im Anschluß an den Weltkriegim Anschluß an den Weltkrieg;'' Leipzig 1927 (Mäser) (= zugleich Dissertation, Universität Würzburg, 1927)
* [[Harald Fuess|Fuess, Harald]]; ''Deutsche Konsulargerichtsbarkeit in Japan und Korea, 1861–1913;''
* Fukushima Sayoko; ''Consular Courts and Japan during the Early Meiji Era;'' Vol. 23 (1980), Nr. 2, S. 99-106; DOI: [https://ift.tt/2TOA6Tp 10.5356/jorient.23.2_99] (Jap.)
* Hinckley, Frank Erastus; ''American consular jurisdiction in the Orient;'' Washington 1906
* Hornby, Edmund [1825-1896]; ''Instructions to Her Majesty's consular officers in China and Japan, on the mode of conducting judicial business: with comments on the China and Japan order in council, 1865, and the rules of procedure framed under it;'' Shanghai 1885 (Kelly & Walsh); [ark:/13960/t9f487n23 Scan]
* Katō Hideaki; ''Ryōji saiban no kenkyū – Nihon ni okeru;'' Hōsei Ronshū, Vol. 84 (1980), S. 301–361 [„Forschung zur Konsulargerichtsbarkeit in Japan"]
* Lehr, Ernest [1835-1919]; ''Nouvelle organisation judiciaire du Japon et ses traités avec l'Angleterre et les États-Unis tendant à la suppression de la juridiction consulaire;'' Extrait de la ''Revue de droit international et de législation comparée,'' 1895, t. XXVII
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=== Einzelnachweise ===
<references />
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